Wortwechsel-Ping-Pong

Es ist technisch mittlerweile keine große Hürde mehr, Audio-Aufnahmen durchzuführen, bei denen die Teilnehmer an verschiedenen Orten sitzen und über einen Webdienst miteinander verbunden sind. Diese Remote-Aufnahmen bieten ganz neue Möglichkeiten der Produktion.

Sie bringen aber eine Eigenart mit, die in Extremfällen zu hörbaren und merkwürdigen Effekten führt. Die Rede ist von der Latenzzeit, also die Übertragungszeit die das Audiosignal für die Digitalisierung und den Weg durch das Internet zum Gegenüber braucht. Diese ist abhängig vom verwendeten Dienst, dem Equipment und der Internetverbindung. In ungünstigen Fällen ist die Latenzzeit so lang, dass es zu hörbaren Effekten kommt. Das ist nicht wahrnehmbar solange nur ein Teilnehmender redet. Das gesprochene Wort kommt zwar später beim Gegenüber an als es tatsächlich gesprochen wird, da dem Gegenüber aber aufgrund der räumlichen Trennung die Referenz dazu fehlt, fällt es nicht auf. Schwierig wird es beim Wortwechsel. Person 1 redet. Person 2 will an einer vermeintlichen Pause einhaken, merkt aber dass Person 1 weiterredet, da der Versuch einzuhaken noch nicht beim Gegenüber ankam. Person 2 bricht den Versuch ab und will Person 1 weiterreden lassen. Nun hört Person 1 den Einwurf von Person 2 und stockt im Satz. Das geht in Extremfällen dann ping-pong-mäßig ein paar mal hin und her.
Also: Latenzzeit gibt es bei jeder Remote-Produktion. In vielen Fällen ist sie aber nicht oder kaum wahrnehmbar. Aber uns muss klar sein: Eine Remote-Produktion hat nie einen 100% natürlichen Flow.

Der unschlagbare Vorteil von Remote-Aufnahmen

Das eben beschriebene Problem des Wortwechsel-Ping-Pongs kann man im Schnitt meist ganz gut lösen. Denn Remote-Produktionen haben einen unschlagbaren Vorteil: Es gibt kein Übersprechen auf das jeweils andere Mikrofon. Wenn zwei Menschen mit zwei Mikrofonen in einem Raum sitzen nehmen beide Mikrofone immer beide Gesprächsteilnehmer auf. Zwar ist die Stimme von Person 1 aufgrund von Abstand und Ausrichtung der Mikrofone sehr viel leiser auf dem Mikrofon von Person 2 und umgekehrt, aber das Übersprechen (auch Crosstalk oder Bleeding genannt) ist immer da. Verschiebt man die Spuren zeitlich zueinander beginnt man das sonst nahezu zeitgleiche Übersprechen als hörbares Echo wahrzunehmen.
Remote-Spuren hingegen können aus klanglicher Sicht im Prinzip beliebig zueinander verschoben werden. Und so lassen sich solche problematischen Übergänge meist ganz gut korrigieren.

Technische und psychologische Ursachen

Sicher könnte man die Latenzzeit ermitteln und mit Lineal und Schere stur exakt diese Zeit aus den Übergängen entfernen. Aber ich empfehle, den Gesprächsflow lieber nach Gehör zu bestimmen. Eine Remote-Produktion hat nunmal eine andere Chemie. Und das lässt sich meiner Meinung nach nicht nur in Millisekunden ausdrücken. Denn psychologische Faktoren kommen hinzu. Haben die Teilnehmer dreimal Wortwechsel-Ping-Pong hinter sich, werden sie eventuell für den Rest des Gesprächs sehr lange Höflichkeitspausen lassen um nicht wieder in diese Falle zu geraten. Nett gemeint und auch zielführend für die Live-Situation. Aber will man wieder einen guten und natürlichen Flow für den Hörer gestalten, sollte man hier in der Post-Produktion eingreifen.

Fazit

So radikal wie im gezeigten Beispiel muss man meist nicht rangehen. Ich wollte nur ein Bewusstsein für die Unterschiede zwischen einer lokalen und einer Remote-Aufnahme aufzeigen. In den meisten Fällen sind die Latenzen in einem sehr vertretbaren Rahmen und kaum spürbar. Einen kleinen Nachtrag muss ich aber zu meiner Aussage, dass Remote-Produktionen keinerlei Übersprechen aufzeigen, hinzufügen. Das gewöhnliche Übersprechen von einer Person auf das Mikrofon der anderen findet in der Remote-Situation tatsächlich nicht statt. Aber ein viel schlimmerer Feind ist das Übersprechen von zu lauten Kopfhörern oder (worst case) wenn gar keine Kopfhörer benutzt werden. Hier findet das Übersprechen des Lautsprechers nämlich jeweils gegenseitig zeitversetzt auf dem Mikrofon der anderen Person statt. Das führt zu großem Schnittaufwand und wird teils zu Stellen führen, die irreparabel sind. Deshalb gilt: Kopfhörer (in akkurater Lautstärke) sind und bleiben ein absolutes Muss!