Es ist wie in der Boulevardpresse. Ist die Schlagzeile eine Frage, lautet die Antwort mit ziemlicher Sicherheit „nein“.
Ich mache beruflich Sprachaufnahmen und beschäftige mich seit rund 20 Jahren mit Ton. Von Einsteigern bekomme ich oft die Frage nach dem „richtigen“ Mikrofon gestellt.
Vorneweg: Das Preisspektrum reicht beim gut sortierten Musikalienhändler von circa 10€ bis 10.000€. Was genau also ein „teures“ Mikrofon ist, ist eine sehr relative Angelegenheit. Aber auch eine Investition in unter 100€ teure Mikrofone will gut überlegt sein. Besonders wenn man als Podcaster eventuell gleich mehrere davon benötigt.
Warum ich die Frage nach dem „richtigen“ Mikrofon schon falsch finde.
Wo soll ich bloß anfangen bei diesem Thema? Aber nun habe ich das Fass aufgemacht. Da muss ich jetzt wohl durch. Denn an Diskussionen über Equipment scheiden sich die Geister und erhitzen sich die Gemüter.
Eines werde ich an dieser Stelle nicht tun. Ich werde keine konkreten Produktempfehlungen geben.
Ich will noch nicht mal technisch werden. Nicht von Mikrofonkapseln, Richtcharakteristiken, Frequenzdiagrammen und ähnlichem schreiben. Das haben andere schon zu genüge getan.
Es geht mir darum besonders Anfängern zu helfen, den Fokus auf die wirklich relevanten Faktoren zu lenken. Vielleicht überzeichne ich dabei hier und da etwas, um meinen Standpunkt klar zu machen.
Heutzutage ist die Auswahl an günstigem aber dennoch sehr brauchbarem Equipment groß. So gesehen sind es goldene Zeiten für Heimproduktionen. Gleichzeitig verstehe ich gut, warum man angesichts der Größe der Produktpalette schier verzweifeln kann. Ich will Anfängern Mut machen. Und ich will hier erklären, warum ich die Frage nach dem „richtigen“ Mikrofon schon falsch finde. Los geht‘s:
Es ist total einfach mit High-End Equipment schlechte Aufnahmen zu machen.
Was auf den ersten Blick vielleicht zynisch anmutet, ist meiner Meinung nach eine einfache Wahrheit. Ich bemühe ja gerne Bilder aus anderen Bereichen zur Veranschaulichung.
Nehmen wir an, wir haben zwei Kameras. Unser Smartphone und eine Spiegelreflex-Profikamera mit allem was das Herz begehrt. Wir nehmen diese zwei fiktiven Kameras und machen jeweils ein Foto von unserem Badezimmer. Wir erhalten zwei Bilder, die sicherlich in ihren Ergebnissen unterschiedlich anmuten. Nur eins haben sie beide gemeinsam: Sie bilden ganz eindeutig ein Badezimmer ab!
Viele singen gern unter der Dusche. Aber niemand mimt in diesen akustischen Gegebenheiten intuitiv einen Nachrichtensprecher.
Der ein oder andere wird spätestens jetzt ahnen, warum ich ausgerechnet ein Badezimmer für die Foto-Metapher verwendet habe. Zurück in der Audiowelt dient uns das Badezimmer als perfektes Negativbeispiel. Zumindest wenn es um Sprachverständlichkeit geht. Die unzähligen Reflexionen der vielen glatten Flächen verwaschen den Klang der Stimme extrem. Im echten Leben ist es schon nicht die angenehmste Umgebung für eine Unterhaltung. Doch ist es durch den Blickkontakt zum Gegenüber, Mimik, Gestik etc. noch gut möglich, dem Gesprochenen zu Folgen. Unser Gehirn kann die eigentlich ungünstigen Gegebenheiten recht gut ausblenden. Man spricht vom sogenannten Cocktailparty-Effekt. Kurzes Zitat aus dem Wikipedia-Artikel:
[…] Weiterhin führt der Cocktailparty-Effekt dazu, dass Schallquellen in Räumen vom Gehör mit wenig Räumlichkeitseindruck wahrgenommen werden: Die Signale hören sich „trocken“ und kaum verhallt an. Ein in solcher Umgebung aufgestelltes Mikrofon gibt dagegen stark räumlich-klingende Signale wieder.
Nehmen wir also daraus mit: Die Aufnahme wird sich im Zweifel immer halliger anhören, als wir es (besonders mit ungeschultem Gehör) in der eigentlichen Situation empfinden. Der Cocktailparty-Effekt funktioniert nur in der realen Welt. Für den Hörer unseres Podcasts wird es also definitiv deutlich anstrengender dem Gespräch zu folgen.
Nehmen wir bei der fiktiven Mikrofonauswahl ebenfalls unser Smartphone zur Hand und nutzen das interne Mikrofon und als Gegenspieler ein High-End Großmembran-Kondensatormikrofon der „mittleren“ Preisklasse. Und damit meine ich die Mitte aus der oben genannten Spanne 10€ bis 10.000€ (Anm. d. Autors: Autor lacht). Wir werden ebenfalls zwei unterschiedliche klangliche Abbildungen einer Badezimmerakustik erhalten.
Wir werden vermutlich folgenden Kommentar unter unserer Podcast-Episode lesen: „Wow! Tolle Detailreiche Abbildung eines Badezimmers. Ich kann jede Fliese geradezu spüren.“ Naja, lassen wir die Ironie mal beiseite. Vermutlich steht da eher: „Euer Podcast ist zwar interessant. Aber er hallt wie die Hölle. Das ist mir zu anstrengend.“
Es gilt also Störfaktoren aus dem Weg zu räumen, die erstmal so gar nichts mit dem Mikrofon zu tun haben.
Das Mikrofon ist blind und gnadenlos
Es unterscheidet nicht zwischen euch und dem Raum. Alles, was an Schallereignissen auf die Membran trifft und diese zum Schwingen anregt, wird übertragen. Und das sind im Zweifel nunmal auch jegliche Nebengeräusche und die Reflexionen eurer Stimme im Raum.
Ich treibe die Extreme noch mal auf die Spitze: Ich behaupte eine Aufnahme im Badezimmer mit einem Brauner VM1 (aktueller Straßenpreis ca. 5.500€ – kein weiterer Gag über die mittlere Preisklasse) würde schlechtere Klangkritiken erhalten als eine Aufnahme mit dem Smartphone in einem professionellen Tonstudio. Die Smartphone-Aufnahme wird hierbei sicherlich keinen Preis gewinnen, aber sie ist deshalb gut, weil sie den Fokus auf die wichtigen Dinge legt. Im Falle eines Podcasts wäre das die Sprachverständlichkeit. Wie gesagt: Es ist total einfach mit High-End Equipment schlechte Aufnahmen zu machen. Das Mikrofon wird eher zu eurem Feind. Denn es wird gnadenlos alle Missstände abbilden. Umgekehrt muss man sich in einem optimierten Umfeld schon große Mühe geben eine Aufnahme so richtig in den Sand zu setzen. Besonders wenn wir nicht mehr vom Smartphone sondern von sehr guten, aber noch bezahlbaren, Mikrofonen (unter 100€) reden.
Was lernen wir daraus? Im Zweifel lieber zur Oma.
Sicherlich vergleichen wir in der Realität nicht die oben genannten Extreme. Sondern wir machen unsere Podcastaufnahmen in den Graustufen dazwischen. Mit Equipment, das irgendwo zwischen Smartphone und dem Brauner liegt.
Die Stellschraube Raumakustik ist die deutlich mächtigere als die Stellschraube Mikrofon. Wenn akustisch alles optimiert ist, reden wir nochmal über das Brauner VM1. Vorher lieber Omas Wohnzimmer mit den dicken Teppichen, den Vorhängen und den vielen Möbeln für die Aufnahme aufsuchen als den leeren Meetingraum (Anm. d. Autors: Es ist erschreckend wie schlimm viele Meetingräume klingen).
Bei beiden gibt es zwar bestenfalls Kekse, aber denkt dran: beim Podcasting wird nicht gegessen!
Viel Spaß bei der Aufnahme!